Das Weihnachtsschwein

von Catrin Block

Die Metzgerin hatte es nicht leicht. Das wusste jeder in Kleinsüstrow. Erst war es die Frau des Lehrers gewesen, aber die war irgendwann wieder in die Stadt gegangen und hatte den Lehrer und den Metzger zurückgelassen. Dann kam die junge Ärztin, die dort weitermachen wollte, wo der alte Doktor Bullwend aufhören musste. Weil der Rotwein seine Augen trübe machte und seine Hände zittrig. Aber in Kleinsüstrow mochte man junge Frauen nicht, die mit neumodischen Apparaten die Patienten erschreckten. Doktor Bullwend hatte immer noch genug zu tun. Die junge Frau Doktor blieb nicht lange und der Einzige, der ihr hinterher trauerte, war der Metzger.

Der Metzgerin merkte man nichts an. Sie stand tagein, tagaus im Laden. Ihre Arme, dick wie die Oberschenkel des ältesten Brakelsohns, schwangen das Knochenbeil beim Zerteilen der Koteletts, gingen vor und zurück beim Schneiden der Wurst und hielten für einen Augenblick ganz still, bis der Kunde das Gewicht des bestellten Schinkens mit einem Nicken absegnete. Aber jeder wusste, dass sie sich ab und zu hinten im Garten im Schweinekoben ausheulte. Niemand außer dem Schwein sah sie so. Wenn sie aus dem Koben wieder auftauchte, waren ihre Augen trocken, nur ein wenig rot. Aber sie litt, wenn zu Weihnachten das Schwein geschlachtet wurde, da war man sich in Kleinsüstrow sicher.

Es war etwas Besonderes um dieses Schwein. „Das Weihnachtsschwein“, sagte der Metzger. Er fuhr jedes Jahr im Dezember und holte sich ein Ferkel, das das ganze Jahr über gepflegt und gemästet wurde. Am vierten Advent war es dann soweit. Der Metzger nahm das Beil, das eigens zu diesem Zweck über der Tür des Kobens hing, und hieb es mit einem gewaltigen Schlag direkt in den Schädel des armen Tieres. „So muss es nicht leiden, das hält das Fleisch schmackhaft“, sagte er. Er hängte das Schwein an den Hinterbeinen an ein Gestell im Hof und ließ es ausbluten. Da standen schon die ersten Leute mit Bier und Schnaps dabei. Die Metzgerin nahm die Schüssel mit dem Blut fort, daraus wurde eine köstliche Wurst. Die Innereien kamen in eine andere Schüssel. „Darüber freuen sich die Brakels mit ihren zehn halb verhungerten Kindern“, sagte der Metzger und kam sich sehr mildtätig vor. Spätestens jetzt bog der Pfarrer um die Ecke und sprach seinen Segen. Man fachsimpelte über die Qualität des Fleisches und wartete ungeduldig, bis der Metzger das Schwein zerteilt hatte. Der Pfarrer und der Bürgermeister bekamen das Filet, wie es sich gehörte. Die Schinkenbraten waren für die Ratsherren. Und der Lehrer, der den Metzgerssohn unterrichtete, durfte sich den schönsten Kotelettstrang aussuchen. Der Rest ging stückweise an die, die sonst noch herumstanden. Die Metzgerin schaffte die Waage und den Hackklotz aus dem Laden in den Hof und wog und kassierte. 

So war es all die Jahre gewesen, doch jetzt war alles anders. Jetzt hatte der Apotheker eine junge Frau.

Im vergangenen Jahr schon, kaum dass sie in das Apothekenhaus gezogen war, hatten die Ratsherren gemurrt, weil ihre Schinkenbraten so viel kleiner ausfielen. Sonst hatte der Apotheker sich immer mit einem Eisbein begnügt, doch plötzlich erhielt er – und seine Frau – das beste Stück. Selbst das Filet für den Pfarrer und den Bürgermeister hätte sie haben können, doch das hatte sie abgelehnt. Ihr genüge der Schinkenbraten, hatte sie gesagt, und in Kleinsüstrow zerriss man sich seither das Maul.

In diesem Jahr bekamen die Gerüchte neue Nahrung. Anfang Dezember, die letzten Blätter fielen noch von den Bäumen, hatte der Metzger seiner Frau erklärt, er wisse von einem wundervollen Ferkelwurf im Bergischen. Zwei Wochen würde es dauern, bis er mit dem Tier zurück sei, und so lange würde sie es ja wohl ohne ihn schaffen. Dann fuhr er fort.

Am Samstag danach kam der Apotheker höchstselbst in den Laden und kaufte nur ein paar Weißwürste. Seine Frau sei ins Bergische zu einer Cousine gefahren, sagte er. Die Frauen im Laden steckten sofort die Köpfe zusammen und manch ein mitleidiger Blick traf die Metzgerin.

Ihre Arme, dick wie der Oberschenkel des Brakelsohns, schwangen wie immer das Knochenbeil beim Zerteilen der Koteletts, gingen vor und zurück beim Schneiden der Wurst und hielten für einen Augenblick ganz still, bis der Apotheker das Gewicht der Weißwürste mit einem Nicken absegnete. Und nur die Witwe Mensing sah den Gewitterblick in ihren Augen und ahnte, dass für die Metzgerin nicht der Kotelettstrang unter dem Beil lag, nicht die Wurst in der Schneidemaschine.

Bald darauf war die Apothekerin zurück. Sie kam allein, ohne den Metzger, gerade am Abend vor dem vierten Advent. Aber niemand hatte etwas anderes erwartet.

Am nächsten Tag fanden sich die Leute wie immer im Hof der Metzgerei ein, um beim Schlachten zuzusehen. Doch sie staunten nicht schlecht. Diesmal lagen die Fleischpakete bereits verpackt auf dem Tisch mit der Waage. Die Metzgerin stand lächelnd daneben.

„Wo ist der Metzger?“, fragte der Bürgermeister.

Die Metzgerin zuckte mit den fleischigen Achseln. „Sein Geschäft im Bergischen hat nicht den erwarteten Abschluss gefunden“, sagte sie. „Er bleibt noch ein Weilchen.“ Dann begann sie mit dem Verteilen der Fleischpakete.

Wer genau Acht gab, konnte sehen, dass noch nie ein Weihnachtsschwein so viel Fleisch hergegeben hatte.

Die Metzgerin verteilte großzügig und auch die Brakels mit ihren zehn Kindern bekamen in diesem Jahr ein gutes Stück vom Kotelettstrang. Es war mehr als genug für alle da.

Der Apothekerin mundete an diesem Heiligabend der Metzgersschinken ganz vorzüglich.

 

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