Skatenergy

von Cathrin Block

–  „Warten Sie! Da ist wieder so ein Krabbelkäfer, der an meine Füße will!“

–  „Was haben Sie gesagt? Wo die Kamera hinsoll? Stellen Sie sie doch einfach da drüben auf. Räumen Sie die Sachen weg, dann haben Sie genug Platz.“

–  „Nein, helfen kann ich Ihnen wirklich nicht. Ich dachte, das hätten Sie begriffen. Mit diesen Füßen darf ich nicht unnötig herumlaufen, das ist doch das Problem. Genau darum sind Sie doch zu mir gekommen.“

–  „Mein Gott, dann schaffen Sie den Kram eben raus auf den Flur! Dafür, dass Sie mich in Ihrem Magazin haben wollen, können Sie ruhig etwas tun. Und wenn Sie was zu trinken haben wollen – die Küche ist dahinten.“

–  „Ja, ja, natürlich ist es toll, wenn ich im Fernsehen bin. Aber wahrscheinlich werde ich danach wie ein Blödmann dastehen, genauso wie die Frau, die neulich in Ihrer Sendung wegen diesem Mittel ihre Haare verloren hat. Unsereins ist am Ende doch immer der Dumme, dem man das Geld aus der Tasche ziehen kann.“

–  „Das ist absolut richtig. In meinem Fall wäre wohl der Schlaueste auf diese Schweine reingefallen. Und diesmal stimmt es auch, was Sie immer sagen: Mein Leben wurde wirklich zerstört. Mir sind nämlich nicht nur ein paar Haare ausgefallen, die irgendwann …“

–  „Sorry, können Sie das bitte wiederholen? Sie haben mir das Wort abgeschnitten, deswegen konnte ich Sie nicht verstehen.“

–  „Ja genau, getroffen habe ich diese Schweine auf einer Wellness-Messe vor drei Jahren. Die hatten dort nur einen winzigen Stand, den ich fast übersehen hätte zwischen all den anderen. Ich weiß es noch wie heute. Auf der einen Seite massierten irgendwelche Maschinen fetten Weibern die Cellulite weg, auf der anderen pries so‘n Marktschreiertyp seine Sneakers an. Aber der Kerl in der Mitte machte überhaupt nichts, sondern saß nur an seinem Tresen und trank Kaffee. Und hinter ihm an der Wand blinkte der Schriftzug ‚Skatenergy‘.“

–  „Was ich damals für ein Typ war? Nun ja, meine Mutter nannte mich immer ‚Kleiner Windhund‘, das sagt ja wohl alles. Damals habe ich nichts anbrennen lassen, weder bei den Weibern noch sonst wo. Schnell hin und schnell wieder weg, das war meine Devise. Die Mädchen mochten mich und ich war immer auf Achse, besonders mit meinen Inlinern. War eine tolle Zeit damals. Wissen Sie, wenn ich in die Disco ging …

Tschuldigung, haben Sie vielleicht ein Taschentuch? Es ist schwer, von damals zu erzählen.“

–  „Hören Sie auf, ich doch nicht! Der Mistkerl an dem Stand ist schuld, das ist ja wohl klar. Wenn der was gemacht hätte, anstatt nur still seinen Kaffee zu trinken, irgendwas, dann säßen wir jetzt nicht hier. Dann wäre ich einfach vorbeigelaufen und nichts wäre passiert. Aber weil er so dasaß, habe ich für einen Moment angehalten und geguckt. Und dann hat er mich angesprochen.“

–  „Was er gesagt hat? Na, ob es mir Spaß macht, meine Inliner im Rucksack herumzutragen. Und damit hatte er mich. Natürlich ist eine solche Schlepperei nicht besonders prickelnd, aber man musste ja. Damals waren die elastischen Keramikrollen noch völlig neu. Sowas gab man einfach nicht in die Hände einer Garderobenfrau.“

–  „Sie haben noch nie von elastischen Keramikrollen gehört? Echt jetzt?“

–  „Sie sind kein Skater? Ach du Scheiße! Skaten ist doch das Höchste! Wenn du über den Rand der Halfpipe hinausschießt, ist es, als ob du fliegst. Sollten Sie unbedingt mal ausprobieren. Und bei den Mädchen in der Fußgängerzone habe ich … Nein, das erzähle ich besser nicht.“

–  „Vergessen Sie‘s. Ich bereue schon, dass mir das rausgerutscht ist.“

–  „Hören Sie auf zu bohren. Wenn ich darauf antworte, verdrehen Sie das Ganze in Ihrer Sendung und machen mich endgültig zum Horst.“

–  „Nein, verdammt! … O, Moment, stopp! Da ist schon wieder so ein Krabbelvieh!“

–  „Ich weiß selbst, dass die Biester vom Schmutz angezogen werden. Und ja, Sie haben recht, ich müsste die Chipskrümel wirklich mal wegsaugen. Warten Sie einen Moment.“

–  „So, weg. Jetzt verstehen Sie wohl das Problem.“

–  „Genau. Wenn ich sauber mache, kommen keine Viecher, um mich aufzufressen. Aber dafür muss ich dann rumrennen mit diesen Füßen, was auch nicht gerade hilfreich ist. Da die richtige Balance zu finden ist echt schwer. Neulich habe ich im Mülleimer sogar ein Nest voller Fliegenmaden …“

–  „Schon gut. Wenn Sie es so eilig haben, hätten Sie es besser gleich sagen sollen. Wo war ich stehen geblieben?“

–  „Genau. Der Typ hat mich gefragt, ob ich nicht lieber ohne den schweren Inliner-Rucksack unterwegs sein will. Da habe ich noch geglaubt, er ist einer von den Schleichern, die uns Skatern das Leben schwer machen. Wissen Sie, was so‘n Opa mir mal in der Fußgängerzone angetan hat? Der hat mir seinen Stock voll in den Bauch gerammt, und das, wo ich gerade so schön in Schwung gewesen bin. Ist das nicht …“

–  „Weiß schon, keine Zeit. Also, der Typ da an dem Stand hat sofort widersprochen. Sah überhaupt nicht aus wie ein Skater, sondern war so‘n Großer, Dicker im Anzug. Aber er beteuerte, er wäre keiner von den Schleichern. Und er wusste, dass ich in meinem Rucksack keine Stullen von Mutti herumtrage. Ich hab‘ ihn wohl angeguckt wie ein Auto, deshalb hat er mich hinter den Tresen eingeladen. Und dann hat er mir das Tollste gezeigt, das ich je gesehen habe. Hier, schauen Sie mal, ich kann es jetzt auch.“

–  „Irre, was? Rollen und Schuhe, die einem aus den Füßen wachsen. Geht mit purer Gedankenkraft, man braucht nur ein wenig Übung. Lernt man aber schnell. Darum heißt der Laden Skatenergy.“

–  „Ist das nicht klar? Man kann mit seinen Gedanken Skates aus Energie erschaffen. Skate und Energy, verstehen Sie jetzt?“

–  „Ja, normale Schuhe natürlich auch, Sneakers, Lederschuhe, was immer Sie wollen.“

–  „Was? Vergessen Sie’s! Auf keinen Fall gebe ich Ihnen die Adresse von dem Laden. Sie wissen doch gar nicht, was das mit Ihnen macht.“

–  „Weil … Nein, ich erzähle besser der Reihe nach. Also, der Typ hatte zu seinem Anzug schwarze Lackschuhe an. Und als ich zu ihm hinter den Tresen ging, verwandelte er sie vor meinen Augen in todschicke Inliner, mint mit schwarzen und silbernen Streifen. Und natürlich mit den supertollen Keramikrollen. Sie ahnen sicher, wie ich damals gestaunt habe bei diesem Anblick. Natürlich unterschrieb ich sofort und schon am nächsten Tag ging‘s ab in die Klinik.“

–  „Ja, diese Typen betreiben ein privates Krankenhaus, nur mit einer Handvoll Betten und einem OP. Und nur zu dem Zweck, einem das Energy-Pack einzupflanzen. Also, die haben mir das Ding richtig gut implantiert und an meine Nervenbahnen angeschlossen. Es sitzt jetzt zwischen den Dünndarmschlingen und stört überhaupt nicht. Und sie haben mir sehr professionell gezeigt, wie man damit umgeht. Nach nur drei Tagen hatte ich die Sache raus. Aber entlassen haben sie mich erst nach zwei Wochen, weil die Narben vorher völlig abheilen sollten. Sie sagten, sie hätten schlechte Erfahrungen gemacht mit Skatern, die einfach nicht abwarten konnten. Diese Schweine waren richtig fürsorglich damals. Und meine ganzen Ersparnisse haben sie auch kassiert.

Sorry, aber es juckt gerade ganz fürchterlich zwischen meinen Schulterblättern. Und ich hatte irgendwo einen Rückenkratzer. Können Sie vielleicht mal nachsehen, ob er da drüben liegt?“

–  „Ja klar würde duschen helfen. Aber wissen Sie eigentlich, was dabei alles den Abfluss runtergurgelt?“

–  „Dann machen Sie doch das Fenster auf!“

–  „Okay, okay, Entschuldigung angenommen. Ich bin auch nicht glücklich über die Situation, aber wenn Sie erst den Rest erfahren …“

–  „In Ordnung. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Also, das Jahr nach dem Einpflanzen war absolut super, das beste meines Lebens. Sie glauben gar nicht, wie fantastisch man sich fühlt, wenn man jederzeit die Rollen ausfahren kann. Ich habe den Leuten Streiche gespielt und wenn dann einer die Bullen gerufen hat, musste er ganz schön blöd aus der Wäsche gucken, weil es keine Inliner mehr gab. Und ich habe damals bei einem Kurierdienst richtig gutes Geld verdient, weil ich der Schnellste war, besonders dort, wo meine Kollegen nur zu Fuß hinkamen. Lange Büroflure waren für mich ein Klacks und es gab jede Menge Trinkgeld und Zulagen. Aber dann irgendwann habe ich gemerkt, was mit mir passiert.“

–  „Sorry, aber es fällt mir immer noch schwer, an den Moment zu denken, an dem ich es herausgefunden habe. Ich wollte nämlich eine Vase oben vom Bord holen und auf einmal kam ich nicht mehr ohne Leiter ran. Was denken Sie, wie groß ich heute bin? Ich sag’s Ihnen, einszweiundfünfzig, ich hab‘s gemessen. In meinem Pass steht aber einsachtundfünfzig. Und jetzt kommen Sie.“

–  „Herrgott, sind Sie wirklich so begriffsstutzig? Haben Sie schon mal was von Abrieb gehört? Oder davon, dass Schuhe besohlt werden müssen? Vielleicht kapieren Sie ja jetzt, wo diese sechs Zentimeter geblieben sind.“

–  „Absolut richtig, ich habe sie buchstäblich auf den Straßen der Stadt verteilt. Und das Energy-Pack holt sich den Schwund von meiner Körpermasse zurück. Und bei meiner Größe kann ich mir das eigentlich gar nicht leisten. Aber das hat mir der Typ von Skatenergy natürlich nicht erzählt.“

–  „Klar war ich bei der Firma, am selben Tag noch. Aber plötzlich war man dort nicht mehr besonders freundlich. Die fragten nur, ob ich das Merkblatt nicht gelesen habe. Mit entsprechender Schonung und nahrhaftem Essen kann man angeblich seine Verluste auf einen Zentimeter pro Jahr reduzieren.“

–  „Was glauben Sie denn? Das habe ich als Nächstes verlangt. Holen Sie das Pack aus mir raus, habe ich geschrien, weil ich inzwischen völlig panisch war. Aber die Kerle wollten nichts davon wissen. Dann muss ich vorher meinen Sarg bestellen, sagten sie, weil nämlich die Entladung vom Energy-Pack einen umbringt. Und entladen werden muss es, wenn man es herausoperieren will.“

–  „Na endlich. Jetzt haben Sie es, wie ich sehe. Ein paar Fetzchen Energiematerie gibt es immer an den Füßen. Und jedes Mal, wenn man geht oder sich wäscht, verschwindet etwas davon und wächst nicht mehr nach. Selbst weiche Hausschlappen können das nicht verhindern. Aber ich bin erst vierundzwanzig und nur noch einszweiundfünfzig. Sollte ich achtzig werden wie mein Großvater, kann man mich in einen Kindersarg packen. Und meine Mutter behandelt mich inzwischen wie einen …“

–  „Sie wollen schon Schluss machen? Warum? Ich bin doch noch gar nicht fertig mit meiner Geschichte. Wissen Sie, meine große Liebe hat mich verlassen. Und mein Vermieter will, dass ich …“

–  „Haben Sie es wirklich so eilig? Aber …“

–  „Ich verstehe, ein anderer Termin. Schade. War aber nett, Sie kennenzulernen. Und wenn Sie gehen, können Sie bitte den Müll mit runternehmen?“

 

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